Dienstag, 26. April 2011

Momente im Leben, die man nie vergisst.

Es ist Herbst. Am Himmel stehen graue, fast schwarze Wolken und es ist kalt, zu kalt. Die Bäume sind kahl, blattlos, denn ihre noch gerade farbigen Blätter liegen jetzt einsam am Boden.
Und jetzt steht er vor mir. Genau ein Jahr ist es her, als ich ihn das letzte mal gesehen habe, als ich das letzte mal mit ihm gesprochen habe. Es ist lange her, schon so lange.

Die Brücke, auf der wir stehen ist morsch und man könnte meinen, dass sie bald zusammen bricht.
"Hallo", begrüsst er mich freundlich, so als wäre zwischen uns nichts gewesen, nichts passiert.
Ich schweige, sage nichts, denn es kommt keinen Ton heraus.
"Wie geht es dir?", fragt er mich.
Als ich meine Stimme wieder finde, räuspere ich mich dreimal hintereinander und möchte am liebsten sagen:" Scheisse, es geht mir scheisse." Doch stattdessen sage ich nur:" Es geht mir super, wirklich. Es ging mir nie besser.Und dir?" Es ist eine Lüge, die grösste Lüge dieser Welt, doch ich will keine Schwäche zeigen. Nicht vor ihm. Nicht vor dem Typen, den ich liebe, den ich immer noch liebe, den ich immer lieben werde.
"Mir geht es auch gut", murmelt er.
Ich lächle ihn an und hoffe, dass er nicht merkt, dass das Lächeln falsch ist, nicht echt. "Und? Was habe ich verpasst?"
Nun lacht auch er mich an. Nur leicht, aber es ist ein Lachen. "Ich bin ausgezogen", meint er und macht eine kleine Pause. Dann spricht er weiter."Es ist ein abgeschiedenes, halbzerfallenes Waldhaus. Irgendwo im Nirgendwo eben."

Langsam nicke ich und frage ihn dann:" Hat es Efeu, das das Haus raufwächst? Und einen Wald, einen grünen Wald, in dem du jeden Abend spazieren gehst? Und dann noch einen kleinen See vor dem Haus, an dem du den Sonnenuntergang geniesst?"
Sein Blick wird schwächer und er wendet ihn schliesslich ganz ab.
"Ja, aber du weisst ganz genau, dass es schon immer mein Wunsch gewesen war", erwidert er mit dem Blick auf den Strassenboden.
Wieder nicke ich langsam.
Schüchtern sehen seine Augen nun wieder in meine. "Lebst du noch bei deinen Eltern?"
Ich schlucke schwer und versuche die Tränen zurück zu halten. Es klappt. "Nein, meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Danach bin ich zu Chris gezogen."
Er zuckt kurz zusammen und sagt:" Es tut mir leid:"
"Das tut es jedem, aber das nützt nichts, den es macht sie auch nicht wieder lebendig", meine ich.
"Stimmt. Warum bist du zu Chris gezogen?", will er wissen.
"Er war der einzige, den ich hatte und der einzige, der für mich da war. Er hat mich unterstützt mit allem klar zu kommen", erkläre ich ihm.
Er öffnet seinen Mund, doch bevor er etwas sagen kann, füge ich hunzu:"Weisst du, es war alles zu viel. Der Tod meiner Eltern, der Umzug meiner besten Freundin und der Schlussstrich zwischen uns.
"Es tut mir so leid", entschuldigt er sich nun schon das zweite mal.
Ohne auf seine Entschuldigung einzugehen, frage ich ihn:"Warum hast du dieses Haus gekauft? Dieses Haus war der Wunsch von uns beiden. Von uns, nicht nur von dir allein."
Er schüttelt den Kopf, zwei Tränen rollen ihm die leicht gerötete Wange runter.
"Verdammt, es war unser Wunsch, unsere Liebe zueinander. Aber mein bester Kumpel hat dich geliebt. Ich habe ihn schon seit 12 Jahren gekannt. Ich wollte nicht, dass er so leidet. Verstehst du denn nicht?", versucht er zu erklären.
"Du hast dich von mir getrennt, weil du ihm die weiteren Schmerzen ersparen wolltest? Und du? Du hast doch auch gelitten", schluchze ich.
"Ich wollte nicht, dass...", fing er an, aber weiter kam er nicht, denn ich flüsterte:"Warum hast du nicht eine, eine einzige Sekunde an mich gedacht? An uns?"
Die Tränen brennen mir in den Augen."Ich liebe dich doch, ich liebe dich immer noch."
Jetzt ist er es, der nickt."Ich liebe dich auch immer noch."
Und dann küsst er mich. Der Kuss ist voller Liebe, voller Schmerz, voller Entschuldigungen.
Und für einen kurzen Moment war es so wie früher.
So, als wäre nichts passiert.
So, als hätte er mich nie verlassen.
So, als wären wir das ganze Jahr zusammen gewesen.
Und in diesem Moment glaube ich daran, dass wie für immer zusammen sein werden. Für immer.

Montag, 25. April 2011

Ich liebe dich!


Ich sehe aus dem Fenster und warte darauf, dass er endlich kommt.
Alles ist weiss, überall ist Schnee. Das Gras, der Tisch, die Stühle. die Büsche und die grosse Tanne im Garten sind mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Im Vogelhaus sitzt ein einziger Spatz, der wartet bis ein anderer Spatz ihm Gesellschaft leisten kommt. Bald würde er sicher nicht mehr einsam sein.
Alle warten auf das Ende der Kälte, des Winters. Auf den Moment, in dem die Sonne wieder scheint, es wieder warm ist. Auf den Moment, in dem der Schnee und das Eis schmilzt, die Blumen sprießen und die Vögel bis spät am Abend Lieder zwitschern.
Nun reist mich der Ton der Türklingel aus den Gedanken.
Voller Vorfreude laufe ich zu der Haustür und ziehe sie mit einem Ruck auf. Er tritt ein, ich schließe die Tür hinter ihm und möchte ihn küssen, doch er dreht ruckartig seinen Kopf zur Seite.
Verwundert schaue ich ihn an und frage mich was bloß mit ihm los ist. Seine Miene ist wie versteinert. Keine Spur von einem Lächeln, kein glänzen in seinen Augen. Nichts.
Er drückt mir einen Strauss aus Rosen in die Hand und ich bedanke mich freundlich bei ihm. Langsam gehe ich in die Küche um eine Vase zu holen. Hinter mir höre ich seine Schritte, also folgt er mir.
Etwas zitternd nehme ich eine Blumenvase aus dem Schrank, fülle Wasser hinein und stelle schließlich die rosa Rosen hinein.

"Die Rosen sind wunderschön", sage ich, als ich mich zu ihm umdrehe.
Als hätte er den Satz nicht gehört, wechselt er schlagartig das Thema und sagt: "Es ist aus."
Bei den Worten ist sein Blick nicht mehr wie erst gerade noch, sondern traurig.
"Ja, du hast richtig gehört. Ich verlasse dich",meint er ohne den Blick abzuwenden.
Dann herrscht Stille, komplettes Schweigen.
Wenige Sekunden später unterbricht ein Klirren die Ruhe. Die Vase liegt zerbrochen, in tausend Scherben am Boden. Daneben die Rosen, die ich vor kurzem noch schön fand. Jetzt sind sie trostlos, hässlich.
Noch immer erwidere ich nichts.
"Es..es...tut mir..so...so...schrecklich Leid", stottert er.
Endlich finde ich meine Sprache wieder und frage flüstern: "Wer ist sie?"
Als er mir keine Antwort gibt, schreie ich: " Wer ist sie, verdammt noch mal?"
"Du kennst sie nicht", lautet seine Antwort.
"Sag mir einfach wer sie ist", kreische ich zornig.
"Ihr Name ist Mila", antwortet er ruhig.
Die Wut steigt und steigt.
"Wie kannst du mir das antun? Ich habe dir immer geglaubt. Ich habe dir immer vertraut. Ich habe so vieles für dich aufgegeben. Meine Träume und meine Wünsche. Meine Familie, meine Freunde. Für dich. Es war alles für dich. Für uns. Damit wir glücklich werden, damit wir glücklich sein können. Ich habe alles gegeben, alles was ich hatte", brülle ich ihn wütend an.
"Es ist einfach passiert, ich konnte nichts dagegen tun. Es tut mir Leid, wirklich", erwidert er darauf. Seine Entschuldigung kann er sich sparen. Das einzige was ich will, ist, ihn zurück, ihn wieder haben.
"Du hast mir versprochen, dass du mich für immer lieben wirst und dass du mich nie verlassen wirst", erinnere ich ihn an sein Versprechen, dass er gerade gebrochen hat.
"Ok, verstanden. Der Grund ist also, dass du nicht allein sein willst", meint er.
"Nein, das ist nicht der Grund", sage ich laut.
"Ach ja? Was ist den der Grund?", will er wissen.
Ich merke, wie die Wut verblasst und Trauer sich in mir breit macht.
"Der Grund ist, dass ich dich liebe", flüstere ich, doch es ist zu spät, denn er hat sich schon umgedreht und rennt davon.
Und dann läuft mir eine einsame Träne die Wange runter. Wie ich und der Spatz draußen im kalten Winter, ist sie allein. Wir sind alle allein.

Mittwoch, 20. April 2011

Abschied



Es ist einer dieser ersten Frühlingstage, einer dieser typischen Apriltage. Es riecht nach allen möglichen Blumen und der Duft würde sicher noch eine ganze Weile in der Luft hängen, da bin ich mir sicher. Auf der Blumenwiese sieht man die Blütenpracht ganz gut und die Farben sind so unglaublich schön und dezent, dass man darin versinken könnte, nie mehr wieder auftauchen möchte. Die Sonne schickt ihre warmen Strahlen auf die Erde, jedoch regnet es in Strömen. Typisch Aprilwetter eben.
Wir stehen vor uns, gut fünf Meter Entfernung haben wir von einander und meine Füße werden langsam nass, da sich die Tropfen an den Gräsern festgehalten haben und jetzt dringen sie langsam in meine Schuhe ein, obwohl sie eigentlich wasserdicht sein sollten. Es ist kein angenehmes Gefühl.
Wir haben Angst, dem anderen etwas zu sagen, Angst uns an zulächeln, Angst uns zu berühren.
Ich weine. Weine wegen ihm, um ihn. Meine salzigen Tränen vermischen sich mit den Regentropfen., so als wäre es Ein.
Er sieht die Tränen nicht, sieht einfach über sie hinweg. So als würde er sie nicht sehen, so als würden sie gar nicht existieren.
"Warum?", flüstere ich fast kaum hörbar.
"Viola, du weist, dass ich dich liebe, dass ich dich immer lieben werde", sagt er. Ich möchte ihm glauben, ihm vertrauen, doch die Zweifel bleiben.
"Aber du darfst nicht in den Krieg gehen. Du darfst das nicht tun. Bitte", flehe ich ihn an. Ich komme mir so vor, als wäre ich ein kleines Kind. Es möchte ein Eis, bekommt es aber nicht.
Stille. Ruhe. Schweigen. Ich fühle mich einsam. Einsam zwischen den Regentropfen, zwischen meinen Tränen und zwischen den nassen Gräsern.
"Ich werde alles tun, um wieder zu dir zurückzukehren", verspricht er mir.
"Alles?", frage ich ihn leise und verzweifelt.
"Ja, alles. Alles was in meiner Macht steht", antwortet er mir.
Ich blicke ihm tief in die Augen. Innerlich hoffe ich die Wahrheit zu erfahren. Wird er jemals wieder zurück kommen? Wird er den Krieg überleben? Wird er mich für immer lieben?`Ich suche nach der Wahrheit, nach den Antworten auf all meine Fragen.  Ich würde alles was ich suchte, niemals finden, dass ist mir klar. Niemals.
"Bitte, küss mich noch ein letztes mal, bevor du gehst", bitte ich ihn.
Es ist egal, wie ich aussehe. Egal, dass mir meine Haare nass und verwüstet am Kopf kleben. Egal, dass mein hellblaues Kleid, wie ein nasser Kartoffelsack an meinem Körper liegt. Egal, dass mir meine frische Schminke an den Wangen runter läuft und alles verschmiert. Alles würde egal sein, solange es ihn und mich gibt. Uns.





Er läuft auf mich zu, nimmt mich in seine starken, muskulösen Arme, hält mich fest, lässt mich nicht mehr los.
Voller Liebe kralle ich meine Finger in sein nasses Haare und küsse ihn dann zärtlich. Seine Lippen sind weich. Feucht und warm vom Regen.
Und dann kommen meine Tränen wieder.
Tränen der Liebe.
Tränen der Sehnsucht.
Tränen der Trauer.
Tränen der Angst.
Tränen, die kein einziger Mensch sehen durfte, sehen wollte.
Ja, und dann lasse ich ihn gehen. Mit der Hoffnung, dass er wieder kommen würde, dass er mich für immer lieben würde.

Dienstag, 19. April 2011

Er






Traurig sah ich ihn an und fragte mich, wie das passieren konnte. Wie?
Ich wollte weg. Weg von dort, weg von diesem schrecklichen Ort. Ich wollte losrennen, doch eine starke Hand hielt mich zurück, hielt mich fest. Liess mich nicht gehen. Ruckartig drehte ich mich zu der Person um und blicke in zwei braune bekannte Augen.
„Warum?“, wollte ich schreien, doch es kam nur ein leises, verzweifeltes Flüstern zu Stande.
„Vielleicht musste es so sein“, meinte Max mit glänzenden Augen und wenig Überzeugung in der Stimme. Er wusste selbst, dass es falsch war, was er zu mir sagte. Falsch. Verlogen.
„Siehst du das? Siehst du ihn?“, kreischte ich meinen besten Kumpel an. Meine Stimme war voller Trauer. Voller Wut. Voller Enttäuschung.
„Es wird alles gut“, murmelte er. Mich nervten seine Hoffnungen. Seine Wünsche. Denn sie würden niemals in Erfüllung gehen. Niemals. Nie. Denn es war eine Lüge, die er erzählte. Die größte Lüge, die ich jemals gehört hatte.
„Nichts wird gut. Siehst du ihn? Siehst du diese Schläuche, die an ihm angeschlossen sind? Siehst du die riesen Spritzen, die voller Medikamente sind? Siehst du seine Verletzungen? Seine Schwellungen? Seine Blutungen? Seinen Körper?“, schrie ich ihn an. Darauf schwieg er, sagte nicht, blieb einfach nur still.
„Erkennst du ihn? Ich nicht.“, flüsterte ich und versuchte meine Tränen zurück zu halten. Hastig blinzelte ich dreimal hintereinander.
„Er wird immer noch der Alte sein. Den Louis, den wir alle kennen“, murmelte er um sich selbst zu überzeugen. Ein Versuch war es wert. Leider ohne Erfolg.
„ Kannten, Max. Er wird nie mehr so sein, wie er war. Wie den Louis, den wir kannten. Kapier es doch endlich, oder bist du wirklich so dumm und naiv?“, brüllte ich Max an. Er erwiderte nichts darauf, sondern packte meine Hand und zog mich ins Krankenzimmer. Wir setzten uns auf die Stühle neben dem Bett, obwohl wir eigentlich gar nicht hier sein durften. Nicht hier. Nicht bei ihm. Nicht bei Louis.
Ängstlich und mit zitternden Fingern nahm ich die Hand von Louis. Sie war blass. Kalt. Fast so, als wäre sie tot.
Tränen liefen mir die Wangen runter. Jede Träne war eine Stunde ohne Louis. Ohne ein Lächeln. Ohne einen Grund weiter zu leben.
Warum ausgerechnet er? Warum nicht jemand anderes? Hunderte Fragen schwirrten in meinen Kopf umher. Darin herrschte Unordnung. Durcheinander. So als hätte jemand mein Hirn auseinander geschraubt und wieder zusammen gesetzt. Jedoch nicht richtig.
„Ich liebe ihn doch, Max. Ich habe ihn immer geliebt. Verstehst du? Er kann nicht gehen. Er darf nicht gehen. Ich kann ohne ihn nicht leben. Ich will ohne ihn nicht leben. Es macht so keinen Sinn mehr. Er ist alles für mich. Alles.“
Mein Körper bebte. Zitterte. Liebevoll strich mir Max den Rücken rauf und runter.
„Ich kann das nicht. Ihn so leiden sehen. Ich will ihn zurück. Lachend. Fröhlich. Glücklich. Doch er sieht so…-so…tot aus.“
„Er lebt.“ Um mich zu vergewissern, legte ich Louis meine Hand aufs Herz. Es klopfte langsam, unregelmäßig. Er lebte. Noch.
„Ich weiss nicht ob ich das schaffe, mein Leben schaffe. Ich habe Angst. Angst vor der Zukunft. Angst vor dem Tod. Angst vor meinem weiteren Leben. Angst, dass er nie mehr bei mir sein wird. Angst vor allem.“
Und dann war der Zeitpunkt gekommen, der Zeitpunkt, den mein ganzes Leben zerstörte. Der Zeitpunkt, an dem meine Welt unterging. Sein Herz setzte aus und er starb. Louis starb. Sein Herzschlag blieb von der einen Sekunde auf die Andere stehen.
Max hatte es sofort an meinen Gesichtsausdruck gemerkt, denn er wollte mir seinen starken Arm um sie Schultern legen, mich trösten. Er wollte mir sagen, dass ich jetzt stark sein musste. Dass ich es schaffen werde. Das alles wieder gut wird. Doch ich wollte das nicht. Ich wollte nichts von all dem.
Federleicht schüttelte ich seinen Arm ab und stand auf. Langsam schlenderte ich zum Fenster und sah in die Nacht heraus. Dunkelheit. Sterne. Mond. Dunkelheit, der Tod. Sterne, meine Tränen. Mond, mein Herz. Die Sonne wäre dann wohl Louis, denn die Sonne zeigte sich nicht. Die Sonne würde sich nie in der Finsternis zeigen. Nicht freiwillig, nur mit Zwang.
Warum wurde mir das genommen was mir am wichtigsten war? Es wurde mir alles genommen. Liebe. Glück. Lust. Respekt. Geborgenheit. Leben.
Der Schock verging langsam. Ich realisierte, dass Louis nie wieder bei mir sein würde. Nie wieder. Ich könnte alles tun, doch er würde nie zurück kehren. Ich hätte meine Leben für ihn gegeben. Alles, was ich hatte.
„Max, gehe bitte“, sagte ich .
„Aber…“, weiter kam er nicht, denn ich schrie: „ Gehe, verdammt noch mal. Gehe einfach!“
Als ich hinter mir hörte, wie sich die Tür öffnete und dann wieder schloss, drehte ich mich um. Ja, und dann passierte es. Ich drehte durch, rastete aus.
Kreischend lief ich zu Louis hin, zog mit voller Wucht die Schläuche, die ihn eigentlich am Leben halten sollten, aus dem leblosen Körper. Aus seinem Körper. Ich warf die Stühle und den Tisch um. Die Vase mit der wunderschönen roten Rose fiel zu Boden, blieb in Scherben zurück. Als ich zu der Glaswand sah, blickte mir Max entgegen. Er weinte und schüttelte den Kopf, so als wollte er sagen, dass ich es nicht tun sollte. Voller Wut warf ich den Medikamentekasten ans Fenster. Das klare Glas zersprang in tausend Stücke. So sah mein Herz aus. Zersplittert. Kaputt. Gebrochen. Tod. Dann kickte ich gegen die Eingangstür. Ich schlug gegen die Glaswand und rief aus reinster Verzweiflung: „ Warum? Warum? Ich liebe ihn doch. Bitte, er soll leben.“
Es geschah nichts.
Ich schlug weiter gegen das Glas ein und kreischte: „ Ich hasse euch, ich hasse auch alle.“
Mein Atem stockte, meine Tränen rannen, meine Wut stieg.
Ich wusste keinen Ausweg. Aus purer Angst vor dem weiteren Leben ohne Louis nahm ich  ein scharfes Glasstück und fuhr damit über meinen Arm. Das Blut rann. Mein Blut. Das Blut des Todes. Voller Schmerzen griff ich mit der anderen Hand an die Wunde. Kurz schrie ich auf, verstummte aber sofort wieder, als ich Max anschaute. Sein Mund war geöffnet, aber er sagte trotzdem kein Wort. Dann fiel er zu Boden, klappte einfach weg.
Meine Kraft verließ mich mehr und mehr.
Langsam fiel ich auf die Knie, sank in mir zusammen. Gab auf. Ich gab mich und mein Leben auf.