Montag, 24. Oktober 2011

Mondstein.

Er sieht auf das Mädchen hinunter. Es liegt vor seinen Füssen am Boden, irgendwo im Wald zwischen Laub, Ästen und Dreck. Überall ist Blut.



In ihren hellbraunen, welligen Haaren haben sich Blätter in allen Herbstfarben verfangen und ihr bleiches Gesicht zeigt blutige Kratzer. Ihre roten und vollen Lippen sind an drei Orten aufgeplatzt, ihr Körper hat offene Wunden.
Doch ihre Augen sind das, das alles klein und unwichtig erscheinen lässt, denn ihre blauen Augen blicken ausdruckslos in den Nachthimmel. Sie kommen ihm leer vor, fast wie ein Loch, ein Grab.
Er streckt seine rechte Hand aus um das Mädchen zu berühren, zieht sie aber dann schnell wieder zurück als er ein Geräusch aus dem Innern des Waldes hört.
Mit gespitzten Ohren lauscht er und wartet darauf etwas wahr zu nehmen. Doch die Nacht bleibt ruhig, regt sich nicht.
So streckt er seinen Arm noch ein zweites Mal nach ihr aus und streicht ihr schließlich fein die Konturen ihrer Lippen nach. Dabei flüstert er immer und immer wieder:"Es ist einfach so passiert. Ich kann doch nichts dafür, du hast es doch so gewollt. Du hast doch gesagt, es sei für uns." Er weiss, dass sie nicht dieses Ende damit gemeint hat, sondern eines, dass für beide bestimmt war.
Nun fängt er an ihre Wange zu streicheln, durch ihre langen Haare zu fahren.
Sein Atem geht schnell und unregelmässig. Dabei hat er das Gefühl unterzugehen, zu ersticken. Doch das Schlimmste daran sind die Bilder in seinem Kopf, die sich immer wieder wiederholen. Wie er das Messer hervorholt, wie dann das Blut fliesst. Der schreckliche Schrei von ihr, wie er ihr den Mund zuhält und wie sie sich hilflos versucht zu befreien.. Wie sie schliesslich stirbt.
Als er ihr über den nackten, mit Blut überströmten Arm streichelt, spürt er etwas ihm Bekanntes.
Erst als er das Mädchen so hindreht, dass ihr Körper im Schein des Vollmondes erkennbar wird, wird ihm klar, was er entdeckt hat.
Es ist das Mondsteinkettchen, das er ihr vor genau einem Jahr geschenkt hat. Damals hat sie gesagt, dass sie ihn lieben wird solange sie die Mondsteine an ihrem Armgelenk trägt.
Damals hat er ihr geglaubt, damals hat er sie geliebt.
Heute liebt er sie immer noch, heute glaubt er ihr immer noch.
"Wach auf, wach doch endlich auf." Die verzweifelten Worte sagt er so leise, dass nur er sie verstehen kann.
Erst als er sie auf die blutroten, verwundeten Lippen küsst, wird im bewusst, was er ihr angetan hat.
Er hat sie umgebracht, kaltblütig ermordet.
Dann küsst er sie noch ein letztes Mal, steht auf und rennt weg. Er lässt sie einfach liegen. Er lässt das Mädchen, das er liebt zwischen Blut, Ungeziefern, Ästen und Laub liegen. Zwischen Lügen, Unklarheiten und Missverständnissen, zwischen Tod und Leben. Zwischen Liebe und Hass.

4 Kommentare:

  1. Yeah, endlich wieder eine Bombemgeschichte.

    http://spruso.blogspot.com/

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  2. einfach wunderbar...

    http://wellenrauschen.blogspot.com/

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  3. WIRKLICH SCHÖNER TEXT

    Due to unavoidalbe circumstances I had to change my blog-URL:
    http://the-other-side-of-heaven.blogspot.com/

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  4. Schaurig schön mein Püppchen.

    http://lati-gedankenverwirrt.blogspot.de/

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