Dienstag, 19. April 2011

Er






Traurig sah ich ihn an und fragte mich, wie das passieren konnte. Wie?
Ich wollte weg. Weg von dort, weg von diesem schrecklichen Ort. Ich wollte losrennen, doch eine starke Hand hielt mich zurück, hielt mich fest. Liess mich nicht gehen. Ruckartig drehte ich mich zu der Person um und blicke in zwei braune bekannte Augen.
„Warum?“, wollte ich schreien, doch es kam nur ein leises, verzweifeltes Flüstern zu Stande.
„Vielleicht musste es so sein“, meinte Max mit glänzenden Augen und wenig Überzeugung in der Stimme. Er wusste selbst, dass es falsch war, was er zu mir sagte. Falsch. Verlogen.
„Siehst du das? Siehst du ihn?“, kreischte ich meinen besten Kumpel an. Meine Stimme war voller Trauer. Voller Wut. Voller Enttäuschung.
„Es wird alles gut“, murmelte er. Mich nervten seine Hoffnungen. Seine Wünsche. Denn sie würden niemals in Erfüllung gehen. Niemals. Nie. Denn es war eine Lüge, die er erzählte. Die größte Lüge, die ich jemals gehört hatte.
„Nichts wird gut. Siehst du ihn? Siehst du diese Schläuche, die an ihm angeschlossen sind? Siehst du die riesen Spritzen, die voller Medikamente sind? Siehst du seine Verletzungen? Seine Schwellungen? Seine Blutungen? Seinen Körper?“, schrie ich ihn an. Darauf schwieg er, sagte nicht, blieb einfach nur still.
„Erkennst du ihn? Ich nicht.“, flüsterte ich und versuchte meine Tränen zurück zu halten. Hastig blinzelte ich dreimal hintereinander.
„Er wird immer noch der Alte sein. Den Louis, den wir alle kennen“, murmelte er um sich selbst zu überzeugen. Ein Versuch war es wert. Leider ohne Erfolg.
„ Kannten, Max. Er wird nie mehr so sein, wie er war. Wie den Louis, den wir kannten. Kapier es doch endlich, oder bist du wirklich so dumm und naiv?“, brüllte ich Max an. Er erwiderte nichts darauf, sondern packte meine Hand und zog mich ins Krankenzimmer. Wir setzten uns auf die Stühle neben dem Bett, obwohl wir eigentlich gar nicht hier sein durften. Nicht hier. Nicht bei ihm. Nicht bei Louis.
Ängstlich und mit zitternden Fingern nahm ich die Hand von Louis. Sie war blass. Kalt. Fast so, als wäre sie tot.
Tränen liefen mir die Wangen runter. Jede Träne war eine Stunde ohne Louis. Ohne ein Lächeln. Ohne einen Grund weiter zu leben.
Warum ausgerechnet er? Warum nicht jemand anderes? Hunderte Fragen schwirrten in meinen Kopf umher. Darin herrschte Unordnung. Durcheinander. So als hätte jemand mein Hirn auseinander geschraubt und wieder zusammen gesetzt. Jedoch nicht richtig.
„Ich liebe ihn doch, Max. Ich habe ihn immer geliebt. Verstehst du? Er kann nicht gehen. Er darf nicht gehen. Ich kann ohne ihn nicht leben. Ich will ohne ihn nicht leben. Es macht so keinen Sinn mehr. Er ist alles für mich. Alles.“
Mein Körper bebte. Zitterte. Liebevoll strich mir Max den Rücken rauf und runter.
„Ich kann das nicht. Ihn so leiden sehen. Ich will ihn zurück. Lachend. Fröhlich. Glücklich. Doch er sieht so…-so…tot aus.“
„Er lebt.“ Um mich zu vergewissern, legte ich Louis meine Hand aufs Herz. Es klopfte langsam, unregelmäßig. Er lebte. Noch.
„Ich weiss nicht ob ich das schaffe, mein Leben schaffe. Ich habe Angst. Angst vor der Zukunft. Angst vor dem Tod. Angst vor meinem weiteren Leben. Angst, dass er nie mehr bei mir sein wird. Angst vor allem.“
Und dann war der Zeitpunkt gekommen, der Zeitpunkt, den mein ganzes Leben zerstörte. Der Zeitpunkt, an dem meine Welt unterging. Sein Herz setzte aus und er starb. Louis starb. Sein Herzschlag blieb von der einen Sekunde auf die Andere stehen.
Max hatte es sofort an meinen Gesichtsausdruck gemerkt, denn er wollte mir seinen starken Arm um sie Schultern legen, mich trösten. Er wollte mir sagen, dass ich jetzt stark sein musste. Dass ich es schaffen werde. Das alles wieder gut wird. Doch ich wollte das nicht. Ich wollte nichts von all dem.
Federleicht schüttelte ich seinen Arm ab und stand auf. Langsam schlenderte ich zum Fenster und sah in die Nacht heraus. Dunkelheit. Sterne. Mond. Dunkelheit, der Tod. Sterne, meine Tränen. Mond, mein Herz. Die Sonne wäre dann wohl Louis, denn die Sonne zeigte sich nicht. Die Sonne würde sich nie in der Finsternis zeigen. Nicht freiwillig, nur mit Zwang.
Warum wurde mir das genommen was mir am wichtigsten war? Es wurde mir alles genommen. Liebe. Glück. Lust. Respekt. Geborgenheit. Leben.
Der Schock verging langsam. Ich realisierte, dass Louis nie wieder bei mir sein würde. Nie wieder. Ich könnte alles tun, doch er würde nie zurück kehren. Ich hätte meine Leben für ihn gegeben. Alles, was ich hatte.
„Max, gehe bitte“, sagte ich .
„Aber…“, weiter kam er nicht, denn ich schrie: „ Gehe, verdammt noch mal. Gehe einfach!“
Als ich hinter mir hörte, wie sich die Tür öffnete und dann wieder schloss, drehte ich mich um. Ja, und dann passierte es. Ich drehte durch, rastete aus.
Kreischend lief ich zu Louis hin, zog mit voller Wucht die Schläuche, die ihn eigentlich am Leben halten sollten, aus dem leblosen Körper. Aus seinem Körper. Ich warf die Stühle und den Tisch um. Die Vase mit der wunderschönen roten Rose fiel zu Boden, blieb in Scherben zurück. Als ich zu der Glaswand sah, blickte mir Max entgegen. Er weinte und schüttelte den Kopf, so als wollte er sagen, dass ich es nicht tun sollte. Voller Wut warf ich den Medikamentekasten ans Fenster. Das klare Glas zersprang in tausend Stücke. So sah mein Herz aus. Zersplittert. Kaputt. Gebrochen. Tod. Dann kickte ich gegen die Eingangstür. Ich schlug gegen die Glaswand und rief aus reinster Verzweiflung: „ Warum? Warum? Ich liebe ihn doch. Bitte, er soll leben.“
Es geschah nichts.
Ich schlug weiter gegen das Glas ein und kreischte: „ Ich hasse euch, ich hasse auch alle.“
Mein Atem stockte, meine Tränen rannen, meine Wut stieg.
Ich wusste keinen Ausweg. Aus purer Angst vor dem weiteren Leben ohne Louis nahm ich  ein scharfes Glasstück und fuhr damit über meinen Arm. Das Blut rann. Mein Blut. Das Blut des Todes. Voller Schmerzen griff ich mit der anderen Hand an die Wunde. Kurz schrie ich auf, verstummte aber sofort wieder, als ich Max anschaute. Sein Mund war geöffnet, aber er sagte trotzdem kein Wort. Dann fiel er zu Boden, klappte einfach weg.
Meine Kraft verließ mich mehr und mehr.
Langsam fiel ich auf die Knie, sank in mir zusammen. Gab auf. Ich gab mich und mein Leben auf.

4 Kommentare:

  1. Hallo :)
    Ich war schon wieder auf deiner Seie ^_^ und diesmal habe ich es geschafft die ganzen Geschichten durchzulesen. Und ich finde sie Wahnsinnig gut! Du bist doch erst 13 oder?
    Ich finde es toll deine Geschichten berühren mich.
    Mach bitte weitere so tolle geschichten :3
    Liebe Grüße <3

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  2. Danke viel mal für deinen lieben Kommentar. Habe mich sehr fest gefreut.
    Ja, ich bin 13.

    Liebe Grüsse <3

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  3. Bitte schreib neue geschichten, die sind nämlich so schön :)
    <3 *_*
    hdl : )

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  4. Ich habe schon ein paar Neue, aber die muss ich noch ausbessern=)
    Ich finde es übrigens sehr schön, dass sie dir gefallen.
    HDGDL<3

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